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Von Antje Mayer.

Kosovo Künstler. Ausgewählt von Erzen Shkololli

Lulzim Zeqiri,Edi Hila,Jakup Ferri,Sokol Beqiriand und Gentian Shkurti

Lulzim Zeqiri - -Parodie auf Patriotistisches

Im Video „White Map“ wird versucht, einen Mann, der eigentlich das Opfer ist, mit einem Lobgesang musikalisch zu einem Helden zu stilisieren. Man muss wissen, dass die Kosovaren begannen, Gedichte und Lieder für die Menschen zu schreiben, die im Kosovo-Konflikt ermordet wurden. Teilweise nahm das solche Ausmaße an, dass es zeitweise so schien, als wären wir alle ausnahmslos Helden gewesen. Vielleicht die beste Methode, die Folgen des Krieges zu vergessen. Die Figur des Helden und seine Taten werden ins Extreme überzeichnet, so sehr, dass das Heldenlied letztlich in eine tragikomische Ebene kippt. Ich bin der Überzeugung, dass die Tradition der folkloristischen Lieder die Menschen negativ beeinflusst - besonders auf dem Balkan mit seinem synthetischen Heldenkult. Das Video, in dem im Grunde von urbanen Menschen ohne Waffen gesungen wird, ist eine Parodie auf die folkloristisch-patriotistischen Motive in unserem Liedgut.

Geboren 1978, lebt in Vitia und Prishtina im Kosovo.



Edi Hila - Homage/Image


Politische Events, Treffen, parlamentarische Sitzungen, Menschenaufläufe und so weiter. Das ist unser „täglich Fernseh-Brot“, illustriert durch Bilder, die den Inhalt entwerten, weil sie visuell Ähnliches ständig wiederholen. Wie es auch das Fernsehen tut, reproduzieren Gemälde genauso Bilder. In beiden Fällen beschäftigen wir uns mit rekonstruierter, virtueller Wirklichkeit. Aber erst einmal muss ich mit der medialen Wirklichkeit zurechtkommen, die für Konsum und Spektakel steht. Dann reproduziere ich die „TV-Bildnerei“ in Gemälden und erzeuge damit eine neue Realität, eine Realität, die tiefer geht als ehedem die Dimension und Funktion des Gezeigten. Die Reproduktion von Fernsehbildern in Gemälden bewirkt ein „Halt!“, bringt eine andere Informationsebene, emotionale Dimensionen ins Spiel. Und mehr als alles andere birgt sie ein großes Potenzial in sich: eine Reflexion der Bilderwelt, die Art und Weise, wie sie uns quält.

Geboren 1944. Lebt in Tirana und ist dort Professor für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste.




Jakup Ferri - Wir sind zu spät, was soll’s?


In seinem Video „Don’t Tell to Anybody“ zählt Ferri die Reiskörner in einer Kilopackung Reis. Im Mittelalter stritten sich Gelehrte darüber, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Ohne Erfolg. Gelehrte des heutigen Materialismus zählen Reiskörner, auch ohne Erfolg. „Ein geschlossener Raum“, so Jakup Ferri, „erzeugt bei mir eine Akkumulation von Energie. Nachdem ich in einem ebensolchen eine paar Tage lang die Reiskörner gezählt hatte, hatte ich neue Energie geschöpft. Nach diesem Ritual des Zählens, dachte ich, werde ich, wer ich immer sein wollte.“ Als Künstler stellt sich Ferri die Frage: „Bin ich als junger Künstler vielleicht zu spät, weil alles gesagt und getan ist?“ Eine belastende und entmutigende Frage, besonders in Ländern, die selbst „zu spät“ sind. Erstaunlicherweise wird Jakup Ferri von dieser „Verspätung“ inspiriert und konstruiert eine Poesie des Spotts. Seine These: Wir sind zu spät, was soll’s? Francis Bacon sagte einmal, dass der Zwerg, der auf den Schultern eines Riesen steht, weiter sehen kann als jener. Wenn wir unglücklicherweise die Zwerge unserer Vorfahren sind, haben wir noch immer das Recht zu sein, was wir sind, oder zumindest das Recht, uns gegenseitig zu verspotten, nicht wahr? In dem Video „Three Virgins“ hört der Künstler der berühmten Performance von Yoko Ono und John Lennon zu, die einander bei ihrem Namen nennen, und ruft dann seinen eigenen Namen „Jakup! Jakup!“ dazwischen. Sucht er womöglich nach dem Platz, den die „Verspäteten“ unter den Stars einnehmen?

Geboren 1981, lebt in Prishtina.


Sokol Beqiri - Neue Helden des Kosovo

Für Sokol Beqiri lässt sich die Vergangenheit des sozialistischen Jugoslawien samt seiner Verbrüderungs- und Einheitsideologie nicht einfach vergessen (damit alle in Frieden, Freuden, Eiapopeia weiterleben können), aber auch nicht mehr feiern (weil sie schon zu Lebzeiten genügend abgefeiert wurde). In der gegenwärtigen Atmosphäre der Ablehnung emanzipatorischer Modelle von einst (was in den Nachfolgeländern des früheren Jugoslawien eine Verneinung jenes Befreiungskampfes bedeutet, der die Grundlage des sozialistischen und multikulturellen Staates der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bildete). Beqiri restauriert einige der rätselhaften Bilder, die einst die mittlerweile verworfene und der Lächerlichkeit preisgegebene Inszenierung des Sozialismus und Titoismus begleitete und eigentlich erst erschuf. Er richtet sein Augenmerk auf verbliebene Denkmäler von Helden des nationalen Befreiungskampfes, die als Verkörperungen der Verbrüderungs- und Einheitspolitik galten, darunter etwa das gefeierte albanisch-serbische Partisanenduo Ramiz Sadiku und Boro Vukomanovic. Diese Denkmäler bilden jetzt den Hintergrund für die Porträts der neuen Helden der Kosovaren, etwa der Soldaten der UNO-Mission im Kosovo. Die Ambivalenz der Mutmaßungen solcher Gegenüberstellungen von „Helden“ führt dazu, den Inbegriff jenes Erbes zu überdenken, das in allen Regionen Ex-Jugoslawiens zur Zielscheibe rechtskonservativer Angriffe geworden ist. In all seinen Arbeiten schafft es Beqiri, eine standfeste und konsequente Haltung gegenüber all den kollektiven Lächerlichkeiten und Verzweiflungen, den utopischen Wunschvorstellungen ebenso wie den Schreckensvisionen der Zukunft einzunehmen, und ist damit zu einem der führenden Vordenker bei der verwirrten und verworrenen Errichtung jener neuen Gesellschaft geworden, die heute im Kosovo aufgebaut wird.

Geboren 1964. Studierte Kunst in Prishtina und in Ljubljana. Lebt in Peje.




Gentian Shkurti- Farbenblind in Tirana

Die Story ging durch viele westliche Medien: Edi Rama, Bürgermeister von Tirana, ließ die Häuserfronten der Hauptstadt Albaniens knallbunt anstreichen. Ein Statement gegen das postkommunistische Einheitsgrau: „Nach einer langen, dunklen, grauen Zeit haben die Farben die Menschen aufgeweckt, sie waren ein sehr starkes Zeichen der Wiedergeburt, der Lust zum Leben und des Erwachens“, erklärt Edi Rama, Ex-Basketballer und politischer Dissident, der nach einem Attentat als Künstler in Paris gelebt hat, sein Ansinnen. „Jetzt ist Tirana meine Leinwand“, sagt er. Das Video von Gentian Shkurti setzt sich kritisch mit dem „Werk“ des inzwischen weit über die Grenzen hinaus bekannten Bürgermeisters auseinander. Die Arbeit handelt von einem Dialog zwischen einem Farbenblinden und einem Mädchen. Der junge Mann verlor seine Fähigkeit, Farben zu sehen, bevor die Stadt so aussah wie heute. Er kennt sie nur grau. Das Video ist in Schwarz-Weiß gehalten, so wie der Junge die Stadt sieht. Die Frau versucht ihm mit Worten zu erklären, wie die Farben der Fassaden aussehen: „Violett, wie ein Regenbogen, gelb.“ Sie hofft, dass Tirana für diesen farbenblinden Mann (und auch uns) optimistischer wirkt. Ein Video über Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Denn die „inneren Probleme“ dieser Stadt und der albanischen Gesellschaft, möchte uns die Arbeit sagen, können auch noch so bunte Farben nicht einfach übertünchen.

Geboren 1977, lebt in Tirana.



Text erschienen in spike ART QUARTERLY Nr. 4/2005.
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